Nichts ist so eindeutig, dass es sich nicht umdeuten ließe

16. August 2021 – Wann machen Diskussionen Sinn? Wieso können erwachsene Menschen nicht ruhig und sachlich über die großen Narrative unserer Zeit diskutieren? Und wieso es trotzdem etwas bringt, die Grundsätze des menschlichen Handelns weiter zu ergründen und zu illustrieren.

von Andreas Tiedtke

Andreas Tiedtke

[Hier als Podcast anhören.]

Einleitung

Es war der politische Autor und bildende Künstler Raymond Unger, der auf der 7. Konferenz des Ludwig von Mises Institut Deutschlands sprach und mich darauf aufmerksam machte, dass die Erkenntnisse der Praxeologie (Logik des Handelns), wie wir sie von Ludwig von Mises kennen, eine gewisse Haltung zu sich und zur Welt erfordern, um sie „an sich heranlassen zu können“. Für Menschen, die mit ungünstigen Einstellungen und Überzeugungen durch die Welt gehen, sind sie kaum annehmbar. Ungünstige Einstellungen und Überzeugungen in dem Sinne, dass sie mit der Lebenswirklichkeit handelnder Wesen nicht übereinstimmen, weil sie im Widerspruch zur Logik des Handelns und zur Erkenntnistheorie stehen.

Ich möchte an dieser Stelle drei Grundhaltungen ansprechen, die mögliche Ursachen dafür sein können, dass die Kommunikation mit Andersdenkenden nicht funktioniert. Ja, dass es unter Umständen sogar sinnlos sein kann, Diskussionen mit Menschen zu führen, deren Haltungen zur Folge haben, dass sie ein Argument von vornherein gefühlsmäßig nicht annehmen können.

Das Handeln folgt aus dem Fühlen und Denken und das Denken und Fühlen aus den Einstellungen und Überzeugungen, die über Jahre und oft in frühester Kindheit geprägt wurden. Vom Handeln der Menschen kann man auf ihre Einstellungen rückschließen – man erkennt, was ihre Unzufriedenheit vermindert, was sie vorziehen und was sie zurückstellen. Aber auf der Handlungsebene ist es selten möglich, bis zu den Einstellungen und Überzeugungen der Menschen vorzudringen. In diesem Falle kann man sich sämtliche Diskussionen sparen, denn nichts ist in der Erfahrungswelt historischer Ereignisse so eindeutig, dass es nicht umgedeutet werden könnte – oder gar ins Gegenteil verdreht.

Befinden sich Menschen hingegen in einer Krise oder sind sie auf der Suche nach neuen „Ideen“, also Einstellungen und Überzeugungen, Haltungen zu sich und der Welt, bietet die Praxeologie Ludwig von Mises‘ ein reiches Angebot, das menschliche Handeln nicht nur mit Erfahrung zu verstehen, sondern auch von der Logik her zu begreifen.

Drei Einstellungen, die eine Kommunikation und ein Sich-Vertragen verhindern, möchte ich im Folgenden ansprechen:

1. Ein Leben aus Mangel und Schuld heraus

Derjenige, dessen Haltung zu sich und der Welt der Mangel ist, das Ungenügen, der projiziert dieses Ungenügen ständig nach innen und außen. Infolgedessen erscheint er sich selbst unvollkommen – und die anderen, die Welt wirken ebenso ungenügend auf ihn.

In der Handlungslogik gehen wir notwendig von Kausalität aus als dem Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, denn ohne Kausalität ist Handeln nicht denkbar. Wer meint, nichts bewirken zu können, der kommt nicht auf die Idee, zu handeln, um seine Unzufriedenheit zu vermindern. Gehen wir aber davon aus, dass alle Existenz notwendigerweise so ist, wie sie ist (Kausalität), dass also alles, was hier und jetzt geschieht, im gestern als Potenzial angelegt sein musste, dann ist jeder zu jeder Zeit in dem Sinne vollkommen, als er das einzigartige und unvermeidliche Ergebnis seiner Ontogenese (Lebensgeschichte) ist. Dass andere die oder jene Personen besser und schlechter finden, steht dem nicht entgegen, sondern sagt uns nur etwas über deren Vorlieben und Abneigungen. Es gibt keinen objektiven Maßstab für besser und schlechter, nur viele subjektive.

Mit dem Phänomen des Sich-ungenügend-Fühlens geht das des Sich-schuldig-Fühlens einher. Wer meint, dass er anderen etwas schuldig sei, obwohl er sich ihnen gegenüber zu nichts verpflichtet hat; wer meint, dass andere ihm etwas schuldig wären, obwohl diese sich ihm gegenüber zu nichts verpflichtet haben; wer also an das Konzept einer Schuld „aus dem Nichts“ heraus glaubt und dieses verinnerlicht hat, dessen Konzept von sich und der Welt stimmt mit der Logik des Handelns nicht überein.

Schuldig kann man in dem Sinne sein, dass man sich jemandem gegenüber zu etwas verpflichtet hat. Das Recht oder die Forderung des einen sind dann die Wirkung der Verpflichtung oder der Schuld des anderen. Recht ist handlungslogisch subjektiv; jeder trägt sein eigenes Gesetz in sich, sagte bereits Max Stirner (1806 – 1856). Eine persönliche Verpflichtung geht jemand dann ein, wenn er aus seiner subjektiven Sicht meint, durch die Verpflichtung mehr zu erhalten, als er hergibt. Dem Vertragspartner geht es genauso, sodass es durch Verträge nach den Vorstellungen der Beteiligten stets zu Win-win-Situationen kommt.

Ein Mensch kann also etwas schuldig sein in dem Sinne, dass er sich zu etwas verpflichtet hat. Aber niemand kann einen Dritten in diesem Sinne zu etwas verpflichten. Man kann einen Dritten zu etwas zwingen oder durch Täuschung zu etwas bringen, was er ohne die Täuschung nicht getan hätte. Aber das ist etwas anderes als eine freiwillige Verpflichtung und führt zu Win-lose-Situationen. Die Täuschenden und Zwingenden gewinnen auf Kosten und zu Lasten der anderen.

Wer sich also schuldig fühlt oder andere in seiner Schuld sieht, ohne dass er oder andere ihm hierfür einen Grund gegeben haben, der irrt.

Menschen, die wähnen ungenügend zu sein oder schuldig und – in der Projektion nach außen – dass andere ungenügend wären oder ihnen etwas schuldeten, handeln entsprechend ihren Einstellungen. Manche Menschen fühlen sich niedergeschlagen von dem eigenen Ungenügen und der eigenen Schuld, weil sie diese auf der Handlungsebene gar nicht wegbekommen. Das Schuldgefühl wird als Scham, als Dauer-Schuld verinnerlicht. Psychotherapeuten sprechen in diesem Zusammenhang auch von Depressionen, Co-Abhängigkeiten oder dergleichen.

Andere Menschen projizieren das Ungenügen und das Schuldig-Sein ausschließlich nach außen. Für sie sind immer die anderen schuld. Sie versuchen, ihre Mitmenschen herabzusetzen, damit sie sich selbst dadurch „größer“ machen können. Sie intrigieren, lügen und zwingen – die anderen schulden ihnen das schließlich oder sind so ungenügend, solche Trottel und Versager, dass sie es nicht anders verdient haben. Solche Menschen haben unter Umständen kein Problem mit sich selbst, aber auch sie werden nicht „satt“, da sich ihr „Problem“ auf der Handlungsebene nicht lösen lässt. Therapeuten verwenden für Menschen, die so handeln, die Bezeichnungen Psychopathen, Narzissten, Soziopathen und so weiter.

Und es gibt diejenigen, die weder sich noch die anderen „okay“ finden – und das scheinen die meisten zu sein –, bei denen sich Niedergeschlagenheit und ein Ausagieren der Schuld und des Ungenügens anderen gegenüber abwechseln.

Bei meinem Studium verschiedener Traditionen fiel mir auf, dass man an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten anscheinend um dieses „Problem“ wusste. Und verbreitet wurde dieses Problem mit einer Initiation (etwa: Aufnahme in den Bund der Erwachsenen) „gelöst“. Oftmals weitgehend inhaltsleere Überbleibsel dieser Traditionen haben sich bis heute erhalten, wie zum Beispiel Firmung, Konfirmation oder Jugendweihe.

In verschiedenen Traditionen war man sich also bewusst, dass man den Kindern – zu ihrer eigenen Sicherheit – etwas vorgemacht hatte: Etwa, dass sie anderen Gehorsam schuldig wären. Die Kinder konnten Gefahren noch nicht einschätzen und kannten die Konventionen der Kultur noch nicht, sodass man ihnen Autoritäten vorsetzte. Man erzählte den Kindern Schauergeschichten und Märchen, was gut und was böse sei oder wie man ein „rechter Mensch“ würde.

So gewann man zwar Kontrolle über die Kinder, aber die hatte ihren Preis: Wenn einem Kind beigebracht wird, dass es anderen etwas schuldig ist, es aber die Hintergründe (noch) nicht verstehen kann, verinnerlicht es zunächst, dass es etwas schuldet. Wenn ihm beigebracht wird, wohin es zu wachsen habe, verinnerlicht es, dass es zu wachsen habe und dass es so, wie es hier und jetzt ist, nicht genügt. Die Haltungen des Schuldig-Seins und Ungenügens sind dabei leichter zu verinnerlichen als die Haltung, dass mit den anderen etwas nicht stimmt, von denen man ja als Kind abhängt, oder dass mit der Welt etwas nicht stimmt, aus der man stammt und deren Teil man ist.

Bei der Initiation der Kinder hat man ihnen dann sinngemäß gesagt – und noch wichtiger: gezeigt –, dass man sie hinters Licht geführt hatte: In Wirklichkeit ist jedes Kind „eine Perle im Universum und unendlich liebenswert, so wie es jetzt ist“. Es gibt gar keine „Entwicklungsaufgaben“, sondern niemand kritisiert in Wirklichkeit ein Ei dafür, dass es kein Huhn ist. Jedermann kann sich jederzeit zurücklehnen und sagen: „Ich bin angekommen!“ Hier und jetzt. „Kein Hund versucht ein rechter Hund zu sein, kein Schaf ein rechtes Schaf“ (Max Stirner).

Oftmals waren solche Initiationen stark emotional aufgeladen, galt es doch von der Handlungsebene in die – metaphorisch gesprochen – grundlegendere Einstellungsebene zu gelangen, und hierfür musste man durch die Denken-und-Fühlen-Ebene hindurch gehen. Deswegen waren solche Initiationen verbunden mit Riten, mit Festen in Kreisen der Familien und des Dorfes; feierlich wurde man „eingeweiht“. Um an und durch die Emotionen an die Einstellungen zu gelangen, wurden in verschiedenen Kulturen Trance, Hypnose und Rauschmittel eingesetzt. Auch Mutproben wurden der Initiation vorangestellt, um die notwendige emotionale Spannung zu erzeugen.

Nun wusste der Initiierte, dass nicht nur mit ihm im vorgenannten Sinne „alles in Ordnung“ war, sondern auch mit den anderen – und überhaupt mit seiner Lebenswelt an sich. Es gab keinen grundlegenden Mangel und keine grundlegende Schuld gegenüber irgendjemandem. Andere waren einem nichts schuldig und auch „die Welt“ war einem nichts schuldig, noch nicht einmal „Gerechtigkeit“. Das Gesetz des Karmas (Handelns) lautete: „Nimm was du willst und zahle den Preis!“

Quasi das Gegenteil von Initiation ist es, wenn man die kindlichen Einstellungen und Überzeugungen des Ungenügens und Schuldig-Seins noch bestärkt, etwa in Schulen und Universitäten oder durch Rundfunk und andere Medien. Wenn man also den Menschen beispielsweise weismacht, sie würden nicht genügen, etwa indem man sie „benotet“ (bewertet) oder ihnen auf andere Art und Weise suggeriert, dass sie sich zu verbessern hätten. Wenn man Menschen weismacht, sie hätten auch als Jugendliche oder junge Erwachsene noch zu gehorchen, auch dann, wenn sie sich gar nicht zu Gehorsam verpflichtet haben, etwa indem man einen Schulzwang oder Militärzwang durchsetzt. Oder etwa indem man suggeriert, die Menschen seien „der Gesellschaft“ etwas schuldig und „zur Begründung“ entsprechende soziologische, ökonomische oder philosophische Theorien propagiert, deren Vertreter eine solche Schuld behaupten. In all jenen Fällen nährt man dieses Ungenügen und Schuldig-Sein, anstatt es aufzulösen.

Andererseits kann derjenige Mensch, der sich von den Verwirrungen des kindlichen Geistes erfolgreich befreit hat, der sich selbst und die anderen als genügende, ja im hier verstandenen Sinne als vollkommene Personen betrachtet, als in diesem Sinne erwachsener Mensch angesehen werden. Er hat die kindlichen Einstellungen und Überzeugungen, die nicht mit der Realität handelnder Wesen übereinstimmen (aber durchaus ihren Zweck hatten), abgelegt.

*****

Jetzt anmelden zur

Ludwig von Mises Institut Deutschland Konferenz 2021

Alle Informationen hier!

*****

2. Ego-Illusion – Getrenntheit

Wer sich als getrennt ansieht von den anderen, wer sich als „in“ dieser Welt ansieht statt „aus“ ihr, wer nicht auch die Verbundenheit sieht mit allen, mit denen er in seiner ökologischen Nische lebt, der erlebt die anderen unter Umständen einseitig als Fremde und Gegner. Dieses Denken und Fühlen wird noch genährt von widersprüchlicher Propaganda, etwa dass Wirtschaften ein Nullsummenspiel sei, also die einen nur auf Kosten der anderen gewinnen könnten, oder dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei, das Leben also vor allem durch Konflikt bestimmt sei.

In Wirklichkeit befindet sich der Mensch mit seiner ökologischen Nische in ständigem Austausch. Die menschliche Haut trennt ihn nicht von seiner Umwelt ab, sie grenzt ihn ab. Sie ist eine durchlässige Grenze und gleichzeitig eine von mehreren Verbindungen zu seiner ökologischen Nische. Und ebenso wie wir von anderen abgegrenzt sind, sind wir mit ihnen verbunden. Wir übernehmen ihre Ideen, Einstellungen und Überzeugungen. Im Austausch mit unseren Mitmenschen erhalten wir beispielsweise unsere körperliche Struktur aufrecht: Von der Aufzucht von Tieren und Pflanzen bis hin zu Transport, Kühlung, Lagerung, Verkauf etc. sind es nahezu unzählige Arbeitsschritte, die erforderlich sind; ein für den Einzelnen unüberblickbarer Aufwand an Kooperation und Koordination, bei dem es zahlreiche Schnittstellen gibt.

Dass der Mensch ein Individuum ist in dem Sinne, dass sein Wollen nicht trennbar ist von seinem körperlichen Sein, ist ein Aspekt seines Seins, und er ist dieses Individuum im Zusammenwirken mit anderen. Wir betrachten ihn als einen Vordergrund vor einem Hintergrund, und der menschliche Körper verhält sich anders in einer ökologischen Nische mit anderen Menschen als in einem Vakuum oder in einem Schmelzofen. Um den Menschen zu beschreiben, muss es eine Umwelt geben, mit der er in Interaktion tritt.

In der Praxeologie betrachten wir den Einzelnen als den Handelnden, denjenigen, der wählt und will – und nicht ein Kollektiv oder die Gesamtheit der ökologischen Nische, etwa Mutter Erde „Gaia“ oder dergleichen. Beim Handeln geht es um Finalität, um Um-zu, also darum, Mittel einzusetzen, um Ziele zu erreichen, wobei das letzte Ziel stets die Verminderung der Unzufriedenheit ist. Es geht um Vorziehen und Zurückstellen, um Wollen. Wir sagen nicht, die Erde dreht sich lieber um die Sonne als um den Mond, um ihre Unzufriedenheit zu vermindern. Aber wir sagen, das Gnu steigt in den Fluss und schwimmt hindurch, um an das andere Ufer zu gelangen.

Natürlich können Menschen in Gruppen handeln, gemeinsam oder auch gegeneinander. Und natürlich hat der Mensch seine Einstellungen und Überzeugungen im Laufe seiner Lebensgeschichte zunächst von seinem Umfeld erhalten. Aber es handeln nicht Kollektive, sondern es handeln Einzelne. Eine Gruppe von Menschen kann keinen abweichenden Willen bilden als das Wollen der Einzelnen, aus denen sie besteht, auch wenn wir etwa mit Größenzahlen beschreiben könnten, wie viele in einer Gruppe etwas wollen. Wenn vier einen Fünften misshandeln, dann wäre es unsinnig zu sagen, das „Kollektiv“ der fünf will diese Misshandlung zu 80 Prozent.

Der Mensch ist einerseits als Lebewesen abgrenzbar von seinen Mitmenschen, aber andererseits auf vielfältige Weise mit ihnen verbunden. Das ist eine biologische und physische Tatsache. Auch hängt natürlich sein Wollen davon ab, wie und mit wem er das geworden ist, was er heute ist.

Die Ego-Illusion, dass der Einzelne von seinem Existenzbereich getrennt wäre, dass die anderen „außen“ sind und er „innen“, ist eine ungünstige Illusion. Denn erstens ist sie falsch, weil auch sein Gehirn und seine Organe nicht „innen“ sind in diesem Sinne, sondern Teil der metrischen, also im weitesten Sinne sensorisch messbaren, berührbaren Welt.

Und zweitens bringt die Ego-Illusion ihn in größere Unruhe als nötig. Zwar ist eine gewisse Unruhe eine Grundbedingung des Handelns, denn wo keine Verminderung der Unzufriedenheit mehr möglich erscheint, gibt es auch kein Handeln mehr. Aber der Mensch, der sich isoliert fühlt, der meint, er sei „in“ diese Welt gesetzt worden und wie ein Gefangener in ihr, wird anders handeln und durchs Leben gehen, als ein Mensch, der sein Leben als etwas begreift, das „aus“ dieser Welt ist. Ein Mensch, der sich als integrierten Teil dieser Welt sieht, in ständiger Rückkoppelung mit seiner ökologischen Nische, die er formt und die ihn formt. Ein von der Ego-Illusion in diesem Sinne befreiter Mensch sieht auch seine Mitmenschen als einzigartige Ausprägungen des Seins.

Die Kritik, dass die Einstellungen und Überzeugungen desjenigen, der die Ego-Illusion aufgebgeben hat, irgendwie metaphysisch-esoterisch wären, übersieht, dass die materialistische Sichtweise, dass nur das Metrische am Menschen zählt, ebenso metaphysisch ist – eben metaphysisch-exoterisch. Die Annahme, dass nur dasjenige, was gemessen, gewogen oder gezählt werden kann, bedeutsam sei, findet in der Welt des Messens und Zählens von Objekten ebenso wenig eine Stütze. Wir kennen eben auch die Sphäre des Wollens, des Vorziehens und Zurückstellens, die sich mit Größenzahlen nicht beschreiben lässt, sondern mit Ordinalzahlen wie erstens, zweitens, drittens. Wenn der Exoteriker meint, nur das mit den Sinnen im weitesten Sinnen Berührbare, das Ausgedehnte sei bedeutsam, ist das etwa so, als würde man versuchen, die Geschichte der Menschheit zu beschreiben, indem man angibt, wieviel Tonnen die bisherigen Menschen auf der Erde insgesamt gewogen haben.

3. Verdrängung der Gewalt

Wer die Gewalt und den Zwang nicht sieht, die in der Gesellschaft allgegenwärtig sind, weil sie für ihn durch „magische“ Begriffe unsichtbar geworden sind, weggezaubert, der verdrängt die Gewalt und setzt sich mit ihr nicht bewusst auseinander. Die Illusion der Friedlichkeit ist, dass für ihn „institutionalisierte“ Gewalt, etwa ausgeübt nach Abstimmungen, „gute“ Gewalt ist oder gar „keine Gewalt“.

In der heutigen Gesellschaft wird die Gewalt selten sichtbar, weil es kaum einer wagt, sich den Vorschriften der politischen Akteure zu widersetzen. Wer sich nicht bewegt, spürt seine Ketten nicht. Gewalt in der Hand des Einzelnen auf der anderen Seite wird tabuisiert, obwohl auch die Gruppe der politischen Akteure nur aus Einzelnen besteht – was geflissentlich übersehen wird.

Die Menschen lassen sich mit ministerialen Erlassen, halbstündigen Radio-Meldungen und Einschreibe-Briefen regieren. Hier und da sitzt zwar einer ein, weil er die Zahlung des Rundfunkbeitrages verweigert, aber dies hat eher symbolischen Charakter. Der Zwang und die dahinterstehende Gewalt treten im Allgemeinen nicht offen zu Tage, bleiben verdeckt.

Ludwig von Mises schrieb:

Der Staat unterwirft, kerkert ein und tötet. Die Menschen sind geneigt, das zu vergessen, weil der gesetzestreue Bürger sich der Ordnung der Obrigkeit klaglos unterordnet, um Bestrafung zu vermeiden. Aber die Juristen sind re­alistischer und nennen ein Gesetz, das nicht mit Zwang durchsetzbar ist, ein unvollkommenes Gesetz. Die Autorität der menschengemachten Gesetze beruht vollständig auf den Waffen der Polizisten, die für deren Vorschriften Gehorsam erzwingen. Keine Reform kann die Arbeit einer Einrichtung zu­friedenstellend verändern, deren wesentliche Aktivität darin besteht, Leid zuzufügen. Jeder Mensch strebt danach, die Gründe zu vermeiden, die ihm Leid zufügen; die Aktivitäten des Staates beruhen letztlich in der Zufügung von Leid.[1]

Und der Einzelne steht diesem „Gewaltmonopol“ der Gruppe um die jeweiligen Amtsträger für alle praktischen Belange machtlos gegenüber. Denn „ziviler Ungehorsam“ ist außerhalb einer Vereinigung mit Aufgabenteilung und zentraler Koordination für alle praktischen Belange undurchführbar, solange die jeweiligen politischen Akteure vereinigt und koordiniert zu handeln im Stande sind.

Auch diese Ohnmacht gegenüber den Gewaltmonopolisten führt zu einer Verdrängung des allgegenwärtigen Zwanges in der Gesellschaft. Und die Verdrängung führt zu Projektionen. Es wird zum Beispiel projiziert, dass Menschen, die anderen Menschen überhaupt nichts antun im Sinne von Ausübung von Zwang, Gewalttäter sind, weil sie einer gewissen Klasse von Menschen angehören. Kollektive Feindbilder wie der „Alte Weiße Mann“ wurden so etabliert.

Menschen, die blind sind für „institutionalisierten Zwang“ und die Gewalt, die sie selbst oder andere ihren Mitmenschen zufügen, beklagen die Gewalt und den Zwang, der Tieren angetan wird, und sie fordern von ihren Mitmenschen den Verzicht auf das Essen von Fleisch, Eiern oder Milchprodukten – nötigenfalls zwangsweise durchgesetzt.

Menschen projizieren biologische Unterschiede als äußere Zwänge und fordern zum Beispiel positive Diskriminierung, also wiederum Zwang gegen ihre Mitmenschen, damit eine Gruppe „amtlich bevorzugt“ wird. Sie projizieren biologische Bedürfnisse als äußere Zwänge und fordern wiederum Zwang gegen ihre Mitmenschen, wie zum Beispiel Umverteilung oder ein bedingungsloses Grundeinkommen, und das obwohl von den Mitmenschen, denen sie das Geld oder die Güter abnehmen wollen, kein Zwang ausgeht in Bezug auf diejenigen, die biologische Bedürfnisse haben. Biologische Bedürfnisse wie Nahrung und Schutz haben ihren Grund in der eigenen Struktur der Lebewesen.

Dies soll nun nicht heißen, dass jedermann ein gewaltfreies Sein anzustreben habe. Die Praxeologie ist beschreibend und nicht vorschreibend. Leben lebt von Leben. Es gibt in der Ökologie symbiotische Kooperation und parasitäre Ausbeutung auf Kosten und zu Lasten anderer Lebewesen. Zumindest die Struktur von Pflanzen muss sich ein Mensch oder Tier einverleiben, wollen sie überleben. Und auch Pflanzen sind Lebewesen, die gemäß ihrer Struktur auf ihre Umwelt reagieren. Niemand kritisiert einen Löwen dafür, dass er ein Gnu reißt, aber der Nachbar soll auf’s Fleisch verzichten – und ist er nicht willig, so braucht man Gewalt.

Zur Tabuisierung von Gewalt im Westen noch ein kleiner Blick über den Tellerrand in den Osten. In manchen östlichen Traditionen fehlte lange Zeit eine absolute Autorität wie es sie im Westen als den absoluten Gottvater gab – und in der Nachfolge als den absoluten Staat. Manche Buddhisten, die das Nicht-Aggressions-Prinzip lebten, taten dies nicht, weil es ein absoluter Gott befahl oder weil sie es für moralisch hielten. In Abwesenheit einer absoluten Autorität, die Moralvorstellungen für verbindlich erklären könnte, konnte es keine absolute Moral geben, die für jedermann zu gelten hätte. Man fand es schlicht zweckmäßig, friedlich und freundlich zu sein.

Andere östliche Traditionen hatten eine andere Einstellung zu Gewalt. Einer Anekdote nach kam Zen wie folgt von China nach Japan. Sinngemäß ging die Erzählung etwa so: Ein paar Mönche, denen die Zen-Techniken bekannt waren, hatten in Kyoto, Japan, einen schönen Bauplatz für ein Kloster ausgemacht. Man trug dem örtlichen Daimyo das Anliegen vor, der sich schon überlegte, was er mit dem frechen Gesindel anstellen sollte. Allerdings boten sie dem japanischen Fürsten im Gegenzug etwas an, das er nicht ablehnen mochte. Wir könnten, so sinngemäß die Mönche, deine Soldaten furchtlos machen. Wir nehmen ihnen die Angst vor der Angst, dem Schmerz und dem Tod. Der Daimyo war begeistert über den in Aussicht gestellten militärischen Vorteil und so entstand dieser Legende nach Bushido, das Zen der Samurai.

4. Die Folge: Konflikt und Kampf wohin das Auge reicht – und Unmöglichkeit des Diskurses

Diese drei „praxeologisch uninformierten“ Einstellungen und Überzeugungen, also:

  • das Leben aus Mangel und Schuld heraus,
  • die Ego-Illusion der Getrenntheit sowie
  • die Blindheit für die Gewalt in der Gesellschaft,

führen dazu, dass die Haltungen der Menschen, die sie verinnerlicht haben, zu sich und zur Welt etwas Feindliches haben. Schuld-Narrative fallen bei diesen Menschen auf fruchtbaren Boden. Etwa dass wegen mutmaßlicher Veränderungen des Klimas Zwang „gerechtfertigt“ werden könnte. Oder dass wegen des mutmaßlichen Verlaufs von Krankheitswellen sich eine Kollektivschuld der Menschheit ergeben könnte, Amtsträgern zu gehorchen.

Dabei handelt es sich bei solchen Prognosen von langfristigen, nicht wiederholbaren komplexen Verläufen der Erd- und Gesellschaftsgeschichte um persönliche Mutmaßungen und nicht um vergleichsweise exakte Vorhersagen, die jederzeit von jedermann überprüfbar sind, wie etwa bei rein technischen Prozessen oder bei gleichbleibenden Zusammenhängen zwischen messbaren Größen in den klassischen Naturwissenschaften. Die Prognosen sind also keineswegs objektiv testbar, sondern enthalten persönliche Bedeutsamkeitsurteile, wie bedeutsam multi-kausale, korrelierende Ereignisse der Vergangenheit waren und wie sich das in der Zukunft ausspielen wird. Deshalb liegen die Mutmaßungen der Experten so oft weit auseinander; es liegt in der Natur der Sache.

Die Menschen, die solche Experten-Mutmaßungen als Rechtfertigung für die Ausübung „kollektiven Zwanges“ sehen wollen, behaupten aber, es handele sich um sichere Voraussagen, die geglaubt werden müssen, ansonsten sei man ein Leugner. Hiermit stellen sie sich in Widerspruch zur Erkenntnistheorie, der Meta-Wissenschaft sozusagen, aus der folgt, wie „sicher“ oder objektiv Wissen sein kann.[2]

Darüber hinaus meinen Menschen mit den vorbeschriebenen Einstellungen, dass aus wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen könnte, was getan werden „sollte“. Dabei kann es eine normative Wissenschaft, eine Wissenschaft von etwas, das sein sollte, nicht geben. Wissenschaft kann immer nur beschreibend sein, nicht vorschreibend. Sollen ist Wollen für andere.

Und es gibt natürlich auch Profiteure von Mangel- und Schuldnarrativen. Ganze Branchen profitieren von institutionalisiertem Zwang. Branchen, die für ihre Umsatzerlöse darauf angewiesen sind, dass die Bezahlung für ihre Güter (Sachen und Leistungen) unmittelbar oder mittelbar erzwungen wird, weil sie bei freiwilliger Entscheidung der Menschen nicht kostendeckend produzieren könnten; Branchen, die von Verboten profitieren, die ihnen die Konkurrenz vom Hals hält, von Zöllen oder Regulierungen. Diese Profiteure, so sie denn erkennen, wie es zu den Einstellungen und Überzeugungen ihrer „Zwangs-Kundschaft“ kam und wie man sie in dieser Unruhe halten kann, können Mittel einsetzen, um die Menschen am „Nachreifen“ zu hindern. Dazu böte es sich an, die Menschen ständig in Angst und Schrecken zu versetzen. Obwohl die Politik bereits nahezu alle Lebensbereiche im Griff hat, könnten so immer neue Felder erschlossen werden.

Eine Diskussion mit einem Menschen, der die vorbeschriebenen Haltungen zu sich und zur Welt hegt, ist quasi sinnfrei. Diese Menschen haben sich über die Jahre zahlreiche psycho-soziale Kompensations-Mechanismen zugelegt, um mit den negativen Folgen ihrer Haltungen umzugehen, die Therapeuten etwa als Projektion, Verdrängung, Ausagieren und so weiter beschreiben. Ein im hier verstandenen Sinne Erwachsener hat eine andere Haltung zu sich und zur Welt als ein Mensch, der die Haltungen seiner Kindheit zu Schuld, Ungenügen, Ego und so weiter nicht reflektiert und korrigiert hat.

Jedermann kennt wahrscheinlich aus der Vergangenheit endlose Diskussionen, die zu nichts führen. Es werden Strohmann-Argumente angezündet, die man selbst gar nicht gemacht hat. Die Sachebene wird verlassen, wenn sie vorher überhaupt berührt wurde, und es wird versucht, den anderen persönlich anzugreifen, ihn zu beschämen, ihn als Unmenschen darzustellen; nicht zuletzt, weil man sich gegen Unmenschen nicht unbedingt menschlich verhalten müsste. Ein kindliches „Nein-doch-nein-doch-Spiel“ nimmt seinen Lauf, bis einer weint, dem anderen die Schaufel auf den Kopf haut oder ihn beschimpft.

5. Die Lösung – Krise als Chance, die Haltungen zu ändern

Neben der „Initiation“, die heute für alle praktischen Belange keine Rolle spielt, ist die Krise ein Weg, auf dem ein Mensch seine im Widerspruch zur Wirklichkeit des Handelns stehenden Einstellungen und Überzeugungen ändern kann. Wenn einer merkt, dass er mit dem geistigen Rüstzeug, das er hat, nicht weiterkommt, dann kann es sein, dass er sich daran macht, seinen – oftmals – unbewussten Einstellungen und Überzeugungen auf den Grund zu gehen und diese durch günstigere zu ersetzen. Die Krise liefert sozusagen die notwendige emotionale Spannung, um durch die Denken-und-Fühlen-Ebene in die Einstellungsebene zu gelangen. Erst wenn er in dieser Krise ist, metaphorisch gesprochen „die rote Pille geschluckt“ hat, ist er überhaupt offen, sich für andere Einstellungen und Überzeugungen zu interessieren.

In meinem Buch „Der Kompass zum lebendigen Leben“ beschreibe ich solche zur Logik des Handelns nicht im Widerspruch stehenden Einstellungen und Überzeugungen, die also in diesem Sinne günstiger sind, und zwar im Anhang des Buches. Der Länge dieses Formats geschuldet möchte ich auf eine Darstellung hier verzichten.

Mit günstigeren Haltungen zu sich und der Welt kann einer aus einem neuen Selbstbild heraus handeln. Er sieht ein, dass die Dinge an sich weder gut noch schlecht sind, erst seine Bewertung macht sie dazu. Ohne Handelnde gibt es keine „Probleme“. Ohne jemanden, der vorzieht oder zurückstellt, dem das eine annehmbarer ist als das andere, ist es bedeutungslos, was in der metrischen Welt geschieht.

An den äußeren Bedingungen unseres Lebens im Hinblick auf die ganz großen Geschehensverläufe der Geschichte können wir für alle praktischen Belange nichts ändern. Und andere Menschen können wir nicht unmittelbar ändern; aber wenn ich mich ändere, ändern sich meine Beziehungen zu meinen Mitmenschen.

Es ist also nicht zu erwarten, dass sich die Menschen größtenteils friedliebend und freundlich einander gegenüber verhalten werden, solange sie Einstellungen und Überzeugungen haben, die nicht zu einem friedliebenden und freundlichen Denken und Fühlen führen. Mit Diskussionen, die die Handlungsebene betreffen, ist hier nichts auszurichten.

6. Apostasie

Was kann der Leser nun für sich mitnehmen? Was bleibt ihm? Vielleicht ein wenig Verständnis dafür, warum der „Wettbewerb um die besseren Ideen“, den Mises ansprach, bislang die Gesellschaft nicht merklich in Richtung „mehr Freiheit von politischen Akteuren“ geführt hat. Menschen, die von den Interventionen der politischen Akteure profitieren, werden natürlich einen Wegfall ihrer Einkommensquelle ablehnen und sich entsprechend einer ergebnisoffenen Diskussion verweigern. Sie werden Geschehnisse umdeuten und Logik relativieren.

Was einer tun könnte, wäre, sich abzuwenden (Apostasie) von den gängigen Angst- und Katastrophen-Memen, die politischen Interventionismus, also letztlich Gewalt, propagieren. Und einer kann sich „sich selbst zuwenden“, dem Selbst, zu dem ja auch das Umfeld gehört, dessen Teil er ist. Sind die kindlichen Einstellungen und Überzeugungen einmal korrigiert, wird es auch relativ uninteressant, sich das Theater über ein Leben aus Mangel und Schuld heraus länger anzutun.

Richard Wagner führte dieses Theater in seinem weltdeutenden Mythos vom Fliegenden Holländer bis zum Ring des Nibelungen auf. In der Götterdämmerung geht dann alles unter, was man zuvor mittels Gier, Zwang, Betrug, List, Intrigen und Gewalt für ein gewähntes Götter-Ego sich ewig zu sichern suchte. Am Ende der Götterdämmerung lässt Wagner musikalisch einen Neuanfang in aller Unschuld zu. Das Rad von Samsara kann wieder von vorne beginnen, sich zu drehen.

Erst im Parsifal, seinem letzten Stück, präsentiert Wagner seinen einzigen Helden, der nicht scheitert. Durch das Kennenlernen des Leids gerät Parsifal in eine Krise und beim Kundry-Kuss geschieht seine „Erleuchtung“. In dem Moment versteht der Held, wie er sein Leiden selbst erzeugt. Dann erst kann er seinem Widersacher Klingsor den Speer wieder abnehmen, Amfortas heilen und den Schrein, der den Gral enthält, für immer öffnen. Der Gral symbolisiert eben dieses Satori, diese „Erlösung“ von den ungünstigen Haltungen. Der Gral ist nicht in der metrischen Welt, nicht außen. Er befindet sich manchen Traditionen gemäß an einem „jenseitigen Ort“, den man nicht findet mit den Sinnen, sondern durch Selbsterkenntnis. In diesem Sinne ist er „innen“, dass er unserer Sensorik nicht zugänglich ist und nicht gemessen oder gewogen werden kann.

Das alles ist bekannt, Dostojewski und Wagner wussten es zu deuten, und wer Nikola Teslas My Inventions gelesen hat, weiß, dass auch Tesla, einer der größten Erfinder des 20. Jahrhunderts, dies begriff. Heute wird Richard Wagners weltdeutender Mythos – soweit ich es mitbekommen habe – in der Schule bestenfalls musikalisch besprochen, aber nicht im Deutschunterricht ausgedeutet. Man endet mit dem politischen Akteur Johann Wolfgang von Goethe und trägt dem Abiturienten dessen Faust als „der Weisheit letzten Schluss“ vor. Das ist verständlich, denn in der Schule, wie wir sie heute kennen, geht es ja nicht darum, am Ende erwachsene Parsifals aus dem Schulzwang zu entlassen, die weder bei sich noch den anderen einen Mangel sehen – mit all den grundlegenden Folgen für Interaktion und Kooperation.

Am Ende des Tages wird der Leser sich vielleicht viel Zeit sparen, wenn er zu derselben Einschätzung gelangt: Dass man denjenigen nicht mit Argumenten überzeugen kann, dessen Haltungen den Argumenten von vornherein gefühlsmäßig entgegenstehen. Stattdessen könnte man sich dann den Parsifal ansehen, die Brüder Karamasow lesen oder seinem Bonsai einen neuen Schnitt verpassen. Jede Energie, die man sich erspart im Kampf gegen Windmühlen, kann man in der Apostasie verwenden.

7. Ausblick

Ludwig von Mises schrieb:

Aller Fortschritt der Menschheit vollzog sich stets in der Weise, dass eine kleine Minderheit von den Ideen und Gebräuchen der Mehrheit abzuweichen begann, bis schließlich ihr Beispiel die anderen zur Übernahme der Neuerung bewog.[3]

Wenn Sie sich ändern oder bereits geändert haben, ändern sich zwangsläufig Ihre Beziehungen zu Ihren Mitmenschen. Menschen, die Sie bislang „ausgenutzt“ haben, merken, dass Sie das nicht mehr zulassen. Menschen erkennen vielleicht auch, dass Sie mit Ihren geänderten, günstigeren Einstellungen und Überzeugungen zufriedener durchs Leben gehen. Dass Ihre Haltung zu sich und der Welt verständlich, friedlich und freundlich ist, auch wenn Sie sich nichts gefallen lassen, wenn sie angegriffen werden und eine Möglichkeit der Abwehr sehen. Sind Ihre Mitmenschen auf der Suche nach neuen Ideen und Haltungen, sind sie unter Umständen aufgeschlossen für Ihre Sicht der Dinge. Sie öffnen sich und sind „zur Übernahme der Neuerung“ bereit.

Ein Offen-Bleiben in der Kommunikation mit anderen ist also wichtig, falls einer das möchte. So kann die „kleine Minderheit“, die „abzuweichen beginnt“ von den „Ideen und Gebräuchen der Mehrheit“, wie Ludwig von Mises schreibt, Menschen erreichen, die sich emotional geöffnet haben für Neues.

[1] Ludwig von Mises, Letztbegründung der Ökonomik, 2016, S. 139 f.
[2] Hierzu siehe auch: Der Nachweis eines menschengemachten Klimawandels ist nicht erbracht. Eine erkenntnistheoretische Kritik und Die staatlichen Corona- und Klimamaßnahmen können wissenschaftlich nicht begründet werden.
[3] Ludwig von Mises, Liberalismus (1927), S. 48.

Dr. Andreas Tiedtke ist Rechtsanwalt und Unternehmer.

*****

Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Adobe Stock Foto

Soziale Medien:
Kontaktieren Sie uns

We're not around right now. But you can send us an email and we'll get back to you, asap.

Nicht lesbar? Text ändern. captcha txt

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen